I - ISHIGURO

Kazuo ishiguro - "was vom Tage übrig blieb" - Pflicht, Würde, Versagen

Stevens, seit Ewigkeiten Butler in "Darlington Hall" hat ein Problem: Nach dem Tod von Lord Darlington, dem er viele Jahrzehnte lang ergeben und bedingungslos diente, führt er nun das Haus für Mr. Faraday, einen Amerikaner, der das Anwesen gekauft hat, in weitaus geringerem Unfang weiter, d.h. ohne große Zusammenkünfte und Gesellschaften und mit viel weniger Personal als früher. Zuwenig Personal, wie er erkennen muss, und da kommt ihm der Brief von Mrs. Kenton, einer früheren Haushälterin in Darlington Hall gerade recht, aus dem er herauszulesen glaubt, dass diese nach 20 Jahren gerne wieder unter Butler Stevens arbeiten möchte.

Als Mr. Faraday verreist und Stevens anbietet, doch auch ein paar Tage Urlaub zu nehmen (was er bisher noch nie getan hat) nutzt der Butler die Gelegenheit, nach Cornwall zu reisen, wo Mrs. Kenton jetzt lebt, um ihre Bereitschaft, nach Darlington Hall zurückzukehren, auszuloten. Er macht sich mit dem alten Auto des verstorbenen Lord Darlington auf den Weg Richtung Westen, auch um die Landschaft Englands, die er bisher nur aus Beschreibungen in Büchern der Bibliothek kennt, besser kennenzulernen.

Es enstpinnt sich also so etwas wie ein Roadmovie mit einem Butler, der in seinen heute teilweise skurril erscheinenden und schon damals zum Zeitpunt der Ereignisse, nach dem zweiten Weltkrieg, überkommenen Eigenschaften und Gewohnheiten oberflächlich betrachtet wenig Stoff für einen aufregenden Roman zu bieten scheint. Anlässlich der kleinen Erlebnisse auf der Reise erinnert sich Stevens aber immer wieder an seine Zeit in Darlington Hall und an die Versuche seines Dienstherren Lord Darlington, große Politik zu machen, woran dieser schließlich aber scheiterte.

Dabei wird das Weltbild von Stevens klar ersichtlich: er betrachtet sich als Diener seines Herren als so nahe der Macht, wie er in seiner gesellschaftlichen Stellung nur sein kann. Ein Butler hat, wie schließlich das gesamte Dienstpersonal, ein präzise und unauffällig funktionierendes Werkzeug zu sein, das den Dienstherren bei der Verfolgung der von ihm angestrebten Ziele unterstützt. Die Ziele des Dienstherren sind nicht zu hinterfragen, wenn dieser nur die Intention hat, etwas zur Verbesserung der Welt beizutragen, selbst wenn der Dienstherr dabei in gefährliche Nähe des Feindes des Landes gerät. Stevens hielte es schon für ungehörig, auch nur darüber nachzudenken, ob der Dienstherr eventuell etwas falsch machen könnte.

Als der Butler in Cornwall auf Mrs. Kenton trifft, wird klar, dass diese Darlington Hall damals aus Trotz und Verbitterung darüber, dass Stevens in seiner Konzentration auf seine Dienste Mrs. Kentons Zuneigung so gar nicht erkennen konnte, verließ und einen Verehrer, den sie gar nicht liebte, heiratete, bloß, um von dort wegzukommen. Diese Konzentration auf die Arbeit hat Stevens gefühlskalt gemacht, so sehr, dass er seines Vaters klägliche Versuche, mit dem Sohn kurz vor dem Tod doch noch einmal eine emotionale Ebene zu erreichen, damals von sich wies und sich in der Sterbestunde des Vaters lieber Lord Darlington zur Verfügung stellte, als am Sterbebett zu wachen. Diese Unbeeinflußbarkeit eines Butlers, diese bedingungslose Hingabe an den Dienstherren auch in privat schwierigen Zeiten betrachtet er als Voraussetzung für die Erreichung jener Würde, die er für das Kennzeichen eines "großen" Butlers, der er gern sein möchte, hält. In diesem Sinne erreicht er das Angestrebte, menschlich aber bleibt er ein Zwerg, der sich gerne hinter seinen Pflichten versteckt.

Entgegen meiner Gewohnheit, englischsprachige Bücher im Original zu lesen, habe ich hier die deutsche Übersetzung gewählt. Diese scheint mir sehr gelungen zu sein, die Sprache entspricht dem, was man sich unter der geschraubten und hyperhöflichen Sprache, die in diesen Gesellschaftskreisen zu jener Zeit verwendet wurden, vorstellt und erwartet. Ein leiser Roman, der vergangene Vorstellungswelten zum Leben erweckt und überzeugend darstellt, dessen Nachhall an das Grollen eines in der ferne abziehenden Sommergewitters erinnert. Lesenswert.

 

(Gelesen 2018-01)